Zum Werk von Cornelia Konrads | On Cornelia Konrads’ Work »
Heroische Auflehnung und poetischer Widerspruch
von Michael Stoeber
Buchobjekte
In den Jahren von 2002 bis 2004 tauchen im künstlerischen Werk von Cornelia Konrads „Buchobjekte“ auf. Ihr kleines Format und ihr intimer, auf die Präsentation im Innenraum zielender Charakter unterscheiden sie von den großen, als in situ Arbeiten den öffentlichen Raum besetzenden Werken der Künstlerin. Dennoch nehmen die „Buchobjekte“ im Schaffen von Cornelia Konrads einen zentralen Platz ein. Sie ebnen den Weg zum Verständnis ihrer künstlerischen Biographie.
Konrads hat Philosophie, Germanistik und Kulturwissenschaften studiert und erst relativ spät zur Existenz einer freischaffenden Künstlerin gefunden. Hinter der Ontologie der „Buchobjekte“ verbirgt sich – so scheint es – ein exorzistischer Akt. Mit seiner Hilfe hat Konrads sich selbst das akademische Denken ausgetrieben, um die schöpferischen Kräfte des Unbewussten, Träumerischen und Surrealen, die Fähigkeiten des Quer- und Andersdenkens in sich zu wecken.
Forts.
Wir wissen um die Macht der Sprache als Herrschaftsinstrument, deren Logik sich einschreibt in den Geist und Körper der von ihr Beherrschten. Mit ihren „Buchobjekten“ ruft Konrads den syntagmatischen Charakter der Sprache ins Bewusstsein, aber den semantischen Charakter, die Herrschaft sinnproduzierender Strukturen, schafft sie mit ihnen ab.
Sie liquidiert sie auf geradezu spielerische Weise. Sei es, dass Text und Schriftbild einzig und allein aus der additiven Anhäufung des Wörtchens „und“ bestehen, das als Kopula keine Satzverbindungen mehr schafft, sondern sich nur noch mit sich selbst verbindet.
Oder dass sie im „Splitterbuch“ Stücke und Fragmente von Zweigen so fixiert und arrangiert, dass ihre Struktur zwar Assoziationen zum System der Sprache nachlegt, aber das daraus resultierende Schriftbild nicht mehr bedeuten will, sondern nur noch sein.
Im „Blindbuch“ entwickelt Konrads eine Art Alphabet aus Rosendornen, das uns bildlich daran erinnert, dass es den Schmerz braucht, um in der Liebe sehend zu werden.
Auch das „Staubbuch“ negiert den konservativen Charakter der Schrift und thematisiert in einer Liturgie sich wiederholender Spiralen, was von uns bleibt, wenn das Leben zu Ende gegangen ist.
Am Radikalsten ist der Akt des Exorzierung des herkömmlichen Schriftsystems in ihren „Brandbüchern“. Ob mittels explodierender Zündplättchen, aufflammender Wunderkerzen oder eines attackierenden Lötkolbens, stets bleibt von dem, was an herkömmliche Schrift erinnert, nichts als eine ausgeprägte Brandspur. Auch wenn die schöpferische Chronologie dabei scheinbar durcheinander gerät – manchmal braucht es eine Zeit der Reife, ehe ein Manifest entstehen kann – im Grunde sind die nachgeholten „Buchobjekte“ der im Geiste vorweggenommene Gründungsakt für das, was Konrads als Künstlerin schafft. Im Banncharakter der „Buchobjekte“ wird möglich, was sich zeitlich vor und nach ihrer Entstehung als Oeuvre der Künstlerin herauskristallisiert
Die Schaffensperiode zwischen 2004 und 2006
Wir konzentrieren uns bei unseren folgenden Ausführungen auf die aktuellen, das heißt im Jahr 2004 entstandenen Werke, ohne frühere Arbeiten gänzlich zu vernachlässigen, vor allem, wenn sich in neuen Werken Formprinzipien älterer Arbeiten wiederholen. Das ist ganz offensichtlich in den „Piles“ der Fall, in jenen Plastiken, in denen Konrads dem Formprinzip von Aufschüttung und Haufenbildung folgt. Zu den neuen „Piles“ gehören die in Korea entstandenen Plastiken,vor allem der „Pile of Wishes“, eine konische Anhäufung von Steinen, dessen Kegelende abhebt, als wolle er sich vom starren Steinhaufen lösen, um geradewegs in den Himmel zu fliegen. Wie die Bitten und Gebete der Menschen, die sich an die traditionelle koreanische Einrichtung der „Wunschkegel“ halten, an eine Sitte also, die älter ist als der Buddhismus und aus dem Schamanismus kommt.
Konrads verbindet in jenen Plastiken der „Piles“ auf reizvolle Weise unterschiedliche Formprinzipien: nicht nur Ruhe und Bewegung, sondern auch Auflösung und Verdichtung. Dazu kommt das kontrastive Spiel mit der Schwerkraft und ihrer Überwindung, mit Realität und Simulation, und die spannungsvolle Begegnung von Natur und Kultur: der Stein und seine Formung im Werk. Außerdem: Fliegen die Steine wirklich in den Himmel, oder kommen sie nicht vielleicht herab und lassen sich auf dem Haufen nieder? Steigen oder Fallen, das ist hier die Frage. Die Ambivalenz ist typisch für das Werk von Cornelia Konrads, nicht nur in dieser Arbeit. Sie ist seine Signatur. In anderen Werken lauten die Alternativen anders: Gehen oder Laufen, Fliegen oder Landen , Untergehen oder Siegen, aber stets irritieren und destabilisieren die Werke der Künstlerin eine monokausale Sicht der Welt und ziehen damit die Fundamente der aristotelischen Logik in Zweifel. Hier herrschen nicht die Gesetze von Identität (a = a) und Widerspruch (a = non a) und ausgeschlossenem Dritten (Tertium non datur), sondern was Konrads in ihren Werken thematisiert, sind Zwischenzustände, Momente einer irritierenden und faszinierenden Indezision. Jene Zustände, in denen die Paradoxa des Zenon Wirklichkeit werden: der Pfeil, der auf Ewigkeit sein Ziel nicht erreicht, die Schildkröte, die zu überholen dem schnellen Achilles nicht gelingen will.
Intermediäre Orte
Bei dem von Konrads geschätzten irischen Schriftsteller Flann O‘Brien heißen diese Zwischenzustände „intermediäre Orte“, und sie haben nicht weniger Realität als die aristotelische oder newtonsche Wirklichkeit. Sie lassen Zeit und Raum zusammenschrumpfen. Sie sind wie ein Filmstill, der zeitlich und räumlich sowohl zurück und nach vorne weist, Vergangenheit wie Zukunft enthält und dem immer schon das Ganze der filmischen Sequenz im Kern zugehörig ist. Reisen in Raum und Zeit sind in solchen Zuständen überflüssig. Nicht wo man ist, sondern wie man ist, ist entscheidend. Konrads inszeniert ihre Werke gegen die Logik dessen, „was der Fall ist“, Kunst aber stets mit einem kleinen sardonischen Lächeln. Das trifft auch für die im Jahre 1999 stattgefundene Begegnung ihrer beiden Steinhaufen in „Piled up“ zu. Auch hier verzeichnen wir ein Rendezvous zwischen Materie und Magie, Ponderation und Levitation, Poetischem und Profanem. Und der Scheiterhaufen aus dünnen Zweigen und Ästen im Wald von Verdun, „Rising Fall“ (2001), ist all das, sowie ein Emblem des Kreislaufes von Werden und Vergehen und auch das Memorial einer fatalen Auflösung und Fragmentierung.
Die Schneeballskulptur „Moment of Decision“ (2004) dagegen, entstanden im kalten Winter Schwedens, hebt einmal mehr auf poetische Weise die Schwer- und Schneekraft auf, transformiert Natur in Kultur und setzt zudem für die Dauer eines Wimpernschlags ein leichtes und luftiges Zeichen einer balance of power, eines schönen Gleichgewichtes der Kräfte.
Motive, Themen und Formprinzipien bilden im Werk von Konrads ein kohärentes Ganzes. In veränderter Form bestimmen sie die Physiognomie der Arbeiten stets neu und anders. Die zugleich verbindende und oppositive Bogenform der Schneeskulptur findet sich, modifiziert zum Rechteck, wieder in der Holzplastik „Twilight Passage“ (2002), entstanden in Belgien, und als virtuelle Verbindung in „The Gate“ (2004), in Frankreich entstanden. In letzterem Werk hat Konrads zwei mächtige Steinsockel vorgefunden: Überreste eines historischen Tores. Sie hat die Sockel mit identischen Steinen komplettiert, diese jedoch in lockerem Verbund an Stahlstangen befestigt. Wie bei „Pile of Wishes“ ist auch hier der Eindruck ambivalent: Fliegen die Steine weg, oder lassen sie sich auf den Sockeln nieder? Angesichts der Geschichte des Tores handelt es sich um eine Rekonstruktion wie zugleich auch um eine Dekonstruktion. Das Werk akzentuiert den historischen Prozess der Zerstörung und leitet zugleich einen Akt der Salvation, der Heilung ein.
Mit dialektischen Prozessen und der rhetorischen Figur der Inversion, der Verkehrung, operiert auch die ebenfalls in Frankreich entstandene Arbeit „Interieur en Passant“ (2004).
Wieder verbinden sich im Ensemble von Tisch und vier Stühlen aus Stahl und Efeu, untergebracht in einem Gewächshaus, Natur und Kultur. Aber eben auch das Leichte und das Schwere, das Paradoxe und Plausible, das Absurde und Alltägliche. Wenn die Objekte den Boden kaum berühren, ahnt man das Passagere ihres Aufenthaltsortes, von dem der Titel der Installation spricht, wie das Unwirkliche der Wirklichkeit.
Historische Dimensionen
Dass die Künstlerin bei ihren In-Situ-Arbeiten nicht nur natürliche, sondern auch historische Dimensionen mit in ihre Werke aufnimmt, demonstrieren „Intérieur en Passant“ und „The Gate“.
Vor allem aber die von Konrads in Australien geschaffenen Land-Art-Arbeiten machen das deutlich. Kein Wunder, ist doch hier jeder Meter Boden getränkt mit den geschichtlichen Erzählungen der Aborigines. In „The Billabong Memory“ (2005) hat Konrads in einem ausgetrockneten Flusslauf einen Baum mit einem rot leuchtenden Speer aus Weiden- zweigen durchbohrt. Das Werk wirkt wie ein archaisches Totem. Eine Erinnerung daran, dass dieser Ort einst Schauplatz eines Verbrechens an Aborigines war, wovon die Künstlerin übrigens erst nach Entstehung ihrer Skulptur erfuhr.
Auch die „Dreamstone Lines“ (2005), ebenfalls in Australien entstanden, scheinen schon im Titel an die Songlines der Aborigines zu erinnern, mit denen diese nomadisierend ihr Land vermessen. Die von Konrads horizontal angeordneten Bambuszweige sind so ausgerichtet, dass ihre rot gefärbten Spitzen auf einen Stein verweisen, den sie perspektivisch herausheben. Zärtlich und aggressiv, einer vulva dentata gleich, umfassen sie ihn wie in einem Ritual, das in seiner Polarität zugleich Mitteilung macht vom Umfassten selbst.
Bedeutungstragende malerische Elemente zeichnen auch das in Japan entstandene Werk „Floating Surface“ (2005) aus. Der Stapel Baumstämme, changierend zwischen rot blutenden und hell intakten Schnittkanten, spricht diskret metaphorisch von Verletzung und Heilung aus Eigenem.
Ebenfalls in Japan schuf Konrads das Werk „Ascension“ (2005). In einer fließenden Bewegung, von Stahlseilen in Form gehalten, kämpfen sich schlanke Bambuszweige inmitten eines Zedernwaldes einen Berghang hinauf – himmelwärts. Ihr Aufstieg wird in vielfacher Weise zum Symbol, auch für die Transformation von Natur in Kunst.
Mit- und Gegeneinander von Natur und Kultur
Das Mit- und Gegeneinander von Natur und Kultur ist ebenfalls zentral für Cornelia Konrads Intervention „Grass Works“ (2002) in Dreieich. Aus Fenster und Eingang einer Friedhofshalle lässt sie Graswellen quellen. Sie verbarrikadiert die Öffnungen und Eingänge dadurch ebenso, wie sie sie zu neuem Leben erweckt. Im Zusammenhang mit dem spezifischen Ort ihres künstlerischen Eingriffs wird dieser einmal mehr hochsymbolisch.
Es geht nicht nur tatsächlich um die Wechselbeziehung von Öffnen und Verschließen, sondern auch im übertragenen Sinn. Fenster und Türen sind traditionell Metaphern der Passage, des Übergangs. Dieser Übergang, im Zusammenhang mit der Friedhofshalle einer vom Leben zum Tod, wird nach dem artistischen Eingriff durch das Medium des frischen, grünen Grases zum Übergang vom Tod zum Leben. Wieder bedient sich Konrads souverän der Figur der Inversion und setzt mit der Arbeit faktisch und symbolisch einen Kontrapunkt des Lebens zur bedrückenden Realität des Todes. Die Inversionsstrategie bestimmt auch „Onda“ (2006). Das in Italien entstandene Werk lässt eine riesige Welle aus dunklen Zweigen eine weiße Hausmauer durchbrechen und sich zugleich in den Innenraum und nach Außen ergießen. Der koloristische Kontrast ist höchst reizvoll. Das Geflecht der Zweige wirkt wie die Flechten kräftigen Haares. In dieser Lesart vertritt es metonymisch die abwesenden Bewohner der ehemaligen Alm, zu der das Gebäude gehört.
Widersprüche und Ambivalenzen
Die Befragung und Hinterfragung der Realität, das Spiel mit Widersprüchen und Ambivalenzen, die Haltung des Sich-nicht-Abfindens mit dem, was ist, bestimmen auch das Werk mit dem hintersinnigen Titel „Still Life“ aus dem Jahre 2004. Auf einer schmalen Verkehrsinsel der Essener Innenstadt sehen wir ein Haus, von dem nicht klar ist, ob es in die Erde versinkt oder sich aus der Erde erhebt. Werden oder Vergehen? Bei Nacht scheint Licht aus dem halb in den Boden eingegrabenen Fenster und der Tür. Es ist, soviel ist klar, noch Leben, still life, in dem Haus. Werten wir die nächtliche Erscheinung dieser eindrucksvollen Installation als Akt des Widerstandes gegen das unbarmherzige Gesetz des Untergangs. Dieser Widerstand ist nicht weniger heroisch als die artistischen Auflehnungen von Cornelia Konrads gegen eine allein aus Maß und Zahl heraus buchstabierte Welt.